Hirten und Käfer

Ende Januar 2021

Ich habe festgestellt, dass ich gerade besonders empfindlich bin, was Geschichten und Metaphern betrifft, vielleicht weil mir bewusst wird, wie wichtig sie für unsere Wahrnehmung der Welt sind? Meine Reaktionen darauf sind in jedem Fall unmittelbar und beinahe instinktiv, ich fühle mich plötzlich intensiv traurig und wütend und muss mit meinem Verstand und meiner Erinnerung erst der Quelle des Unwohlseins nachspüren.

Ein Beispiel: Ich hatte immer ein mulmiges Gefühl bei der Geschichte vom guten Hirten, obwohl ich das Bild von der saftigen, grünen Wiese mit den hübschen, weißen Schafen beruhigend fand. Ich kenne selbst ein paar Hirtinnen und Hirten, die diesen Beruf jetzt ausüben und die tatsächlich gut für ihre Schafe oder Rinder sorgen und die Tiere wirklich mit viel Einsatz pflegen. Was also war mein Problem? Erst nach einer Weile wurde mir bewusst, dass ich mich mit der Metapher des Hirten unwohl fühle: Ein Hirte hält die Schafe ja nicht aus Freundschaft, sondern weil er sie schlachten will.

Oder die Geschichte die Sache mit dem Brot, bei dem alle Körner sich aufgeben müssen, damit der Bäcker einen Brotlaib daraus formen kann….

All diese Metaphern und Geschichten sind benutzt worden, um uns die scheinbar notwendige Unterwerfung unter das größere Wohl näher zu bringen. In diesen Metaphern sind es immer Menschen (Männer), für die wir uns opfern sollen, als wäre das von der Weltordnung so gewollt. Für die Hingabe und das Loslassen der Ängste, das Überwinden von persönlichen Grenzen und für Vertrauen gäbe es in der Natur einen reichen Fundus an Metaphern: ein Samenkorn das aufbricht, die Verpuppung eines Käfers, die sich öffnet - wir müssen dafür nicht Jesus, Hirten oder Bäcker bemühen.

Metaphern sind ultrakondensierte Geschichten, die je nach Kultur und Zeit und auch nach persönlicher Erfahrung andere Themenkreise mitschwingen lassen. Welche Metaphern verwende ich und worauf verweisen sie? Besonders wichtig sind solche Metaphern, die ich immer wieder denke, mit denen ich zu meinen Kindern und meinen Liebsten spreche oder die ich in einem spirituellen Zusammenhang gebrauche, auch für mich selbst.

Will ich einen Hirten haben? Will ich eine Raupe sein? Dies ist eine Einladung auf die Hintergrundgeschichten zu achten, die unsere sprachlichen Bilder mitbringen und auszuwählen, welche Metaphern mir gerade gut tun und welche nicht. Und weil wir schöpferische Wesen sind, steht es uns frei, jederzeit neue zu erfinden!