Bedürftige Bedürfnisse

Ich habe in letzter Zeit immer wieder über Bedürfnisse nachgedacht. Ein Bedürfnis entsteht, wenn wir glauben, von etwas zu wenig zu haben, aus einem Mangel heraus.

Hätten wir keine Bedürfnisse, würden wir wahrscheinlich in aller Seelenruhe genau das tun was wir tun und einfach da sein, wo wir sind. Ohne Bedürfnisse wäre unser Leben nach außen hin vielleicht ganz ähnlich wie es mit ihnen ist, aber unsere Haltung wäre wohl eine andere: zufriedener, heiterer, gelöster und viel weniger dramatisch.

Bedürfnisse werden manchmal mit quengeligen kleinen Kindern verglichen, um die wir uns kümmern müssen. Beachten wir sie nicht, werden sie aufsässig und versuchen mit allerlei Aktionen unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Offensichtlich stehen ihnen dabei alle unsere Mittel und Wege zur Verfügung: Immer wiederkehrende Gedanken und vermeintliche Gefühle schleichen sich ein, Kopfschmerzen und andere körperliche Symptome kommen auf, Unruhe und völlige Müdigkeit, Ablenkung, Boykott und Ausweichen - unsere Bedürfnisse scheinen gute Beziehungen in unserem System zu haben und sie auch zu nutzen. Wir fühlen uns von solchen Aktionen vor allem eins: gestört.

Wenn wir beginnen, uns der innere Kinderkrippe unserer Bedürfnisse zuzuwenden, stellen wir bald fest: es ist gar nicht so einfach, einen Überblick über sie zu bekommen. Da gibt es Bedürfnisse, die springen einem gleich entgegen und hängen sich an, aber die meisten von den Bedürfniskindern bekommen wir gar nicht zu Gesicht. Wir müssen uns erst auf die Suche nach ihnen machen und sie sind gut durch Fallen und Verwirrspiele geschützt. Hier ist unsere Achtsamkeit und Beharrlichkeit gefragt. Die Bedürfniskinder sind sehr scheu und wir müssen erst ihr Vertrauen gewinnen. Sie fragen: Ist es dir diesmal wirklich ernst? Willst du mich sehen? Sie sind getrieben von einer tiefen Frucht beurteilt zu werden, zu kindisch, zu anmaßend, zu banal…, unpassend und peinlich zu sein.

Wollen wir unsere Bedürfniskinder kennenlernen, müssen wir bereit sein, sie als das anzuschauen, was sie sind, ohne sie zu verurteilen. Sie zeigen uns, wo wir irgendwann einmal einen Mangel erschaffen haben. Wenn wir sie anschauen und voller Respekt und mit Achtsamkeit und Dankbarkeit in die Arme schließen, geschieht ein Zauber: sie werden ruhig und satt und sind frei andere Aufgaben zu übernehmen. 

Manche Bedürfniskinder sind sofort bereit dazu, andere brauchen kürzere oder längere Zeit, aber Würdigung hilft immer. Ich finde es erleichternd, nicht alle Bedürfnisse erfüllen zu müssen, es reicht sie zu sehen und zu würdigen. Jemanden oder Etwas zu SEHEN, also wirklich bewusst wahrzunehmen hat eine enorme Wirkung und Kraft. 

Alles Liebe!  Amathea